„Sehr geehrter Herr Bürgermeister Scholz, sehr geehrter Herr Wegesin von der Grönenbergschule, sehr geehrter Herr Dr. Pollmann vom Gymnasium, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern, liebe Abschlussschüler,

 

zum zweiten Mal hintereinander habe ich die Aufgabe und die große Ehre an einem Tag wie diesem vor Ihnen zu stehen. Bereits die Abschlussschüler des Jahres 2016 durfte ich mit einer Rede beglücken. Nun stehe ich im Sommer 2017 wieder vor euch und vor Ihnen und hoffe andere Worte zu finden als im letzten Jahr. Erst mal einen herzlichen Gruß von Herrn Jansen, dem Schulleiter, der heute leider nicht bei uns sein kann, da sein Gesundheitszustand es noch nicht zulässt.

 

Was ist anders als im letzten Jahr?

Nun, wir erleben eine Premiere: Im 366. Jahr Ihres Bestehens entlässt die Ratsschule zum ersten Mal einen Oberschuljahrgang. Ihr habt sechs Jahre lang eine Oberschule besucht, die sich bemüht hat, mit den großen Herausforderungen klar zu kommen, sich Ihnen zu stellen, sie als Herausforderung und Chance zu begreifen. Die Unterstützung der Landes- und Kommunalpolitik hielt und hält sich dabei in Grenzen. Schade, dass die „da oben“ so wenig auf die „da unten“ hören. Lehrer, aber auch Eltern und Schüler wie ihr erleben Schule vor Ort, an der Front. Die wissen wirklich, dass große Projekte wie zum Beispiel die Inklusion an den Rahmenbedingungen, die die Politik geschaffen zu haben glaubt, scheitert, vollkommen scheitert. Aber das ist ein weites Feld, würde Fontane sagen.

 

Ein bewegtes Schuljahr geht für uns zu Ende, ein bewegtes Schulleben für Euch, liebe Abschlussschüler an der Ratsschule. Eine Schule und alle, die in ihr lernen und arbeiten, brauchen ein Zuhause, eine vertraute Umgebung. Durch den Umzug zum Wallgarten hatten wir endlich wieder ein Zuhause. Alle Klassen an einem Standort. Ist nun alles gut? Nein! Erst gestern war im Meller Kreisblatt eine Aussage der 2. Jugendkonferenz zu lesen: WIR SCHÄMEN UNS FÜR UNSERE MELLER SCHULEN. Mit einem Plakat zum Schülerwettbewerb „Streifzug durch Melle“ hatte unsere Homepage AG die jahrelangen Versäumnisse der Stadt Melle als Schulträger offensiv dargestellt. Vor wenigen Wochen besuchten Mitglieder des Stadtjugend-parlamentes auch die Ratsschule und waren von manchen Ecken entsetzt. Julia Strötzel und Laura Wepner hatten beim Plakatwettbewerb neben den schäbigen Ecken des Gebäudes auch viele Jugendliche abgebildet, die gerne Ratsschüler sind. Ihr Motto: „Wir bleiben fröhlich.“. MELLE HAT DEN BOGEN RAUS, so lautet der der tolle Slogan. Komisch, dass viele, die mit Schulen zu tun haben, dies vollkommen anders sehen.

 

Jetzt da wir hier sitzen, wird am Wallgarten fleißig gewerkelt. Brandschutz, Akustikdecken, Fluchttüren, neue Treppengeländer. Vieles davon sollte eigentlich in den Osterferien bereits erledigt werden, aber wieder mal mussten solche Arbeiten verschoben werden, nicht in die Ferien, nein während des Schulbetriebes wird gehämmert und gebohrt. Hoffen wir für den Start des Schuljahres 2017/18 das Beste.

Genug gemeckert. Euch, liebe Abschlussschüler, betrifft all dies nicht mehr. Heute ist Euer Tag, ein Tag der Erleichterung und Freude, und die wollen wir mit Euch teilen.

 

Gute Schule kann man auch in einer Baracke machen, hat mal ein kluger Mensch gesagt, weil gute Schule nur von guten Lehrern gemacht werden kann. Und da habt Ihr Glück gehabt: Tolle, engagierte Kolleginnen und Kollegen haben Euch zu guten Abschlüssen geführt. All diesen gilt heute mein und sicherlich auch Euer Dank. Mein ganz besonderer Dank gilt heute Carsten Huge, ohne den das Schiff Ratsschule gekentert wäre. In jedem anderen Betrieb wäre er längst befördert worden, hätte drei Wochen Sonderurlaub und eine saftige Gehaltserhöhung bekommen. Aber wir sind ja kein Betrieb, auch wenn Schulen so geführt werden sollen. Danke Carsten!!! Und einen zweiten Mann muss ich erwähnen, der noch drei Arbeitstage vor sich hat, bevor er in den wohlverdienten Ruhestand geht: Thomas Christ. Danke Thomas für deine tolle Arbeit an der Ratsschule. Ein pädagogischer Gigant geht von Bord. (Applaus)

 

57 Prozent von Euch, liebe Abschlussschüler, erreichten durch eigene Anstrengungen, aber auch durch die Unterstützung und die Geduld eurer Lehrinnen und Lehrer einen Realschulabschluss, 33 Prozent sogar einen erweiterten, nur 10 Prozent haben aber immerhin einen ordentlichen Hauptschulabschluss geschafft. Besonders hervorheben muss ich die 10c, unsere Hauptschulklasse: 71 Prozent schafften dort einen Realschulabschluss, einer sogar einen erweiterten (Herzlichen Glückwunsch Torben!) All dies kann Oberschule schaffen. Eine Schule für alle, eine Schule an der alle Abschlüsse möglich sind.

 

Gute Noten und tolle Zeugnisse sind das Eine. Tolle junge Menschen das Andere. Wenn ich an die INVESTOR-Woche zurückdenke, was 25 von Euch da nach Anlaufschwierigkeiten geleistet haben: sensationell, die TELC-Teilnehmer unter Euch: bärenstark. Unsere Schulsanitäter, unsere Schülerpaten. Was ihr in meinem Lieblingsfach Kunst geleistet habt: Spitzenniveau, manche Eure Bilder könnten in Museen hängen. Das Bild von Ibo Berivan, das auf der Vorderseite des heutigen Programms zu sehen ist, wurde inspiriert von den Schlaufenbilder des Ostercappelner Künstlers Rudolf Englert. Bei einem Treffen mit der Witwe des großen informellen Malers hielt diese Ibos Bild für eines Ihres Mannes.  Aus Eurem Kreis kommen die zweiten Sieger des Planspiels Börse.  All dies unter den veränderten Bedingungen einer Oberschule zu leisten, fordert höchsten Respekt und höchstes Lob. Und einen donnernden Applaus.

 

Doch jetzt ist Schluss mit lustig, jetzt beginnt der Ernst des Lebens, sagen so manche Besserwisser, als ob bisher alles nur Spaß gewesen sein. Aber: Es beginnt ein neuer Abschnitt in eurem Leben. Andere Schulen, Ausbildungsbetriebe, neue Lehrer, Mitschüler und Ausbilder warten auf Euch. Viele von Euch empfinden Vorfreude und Neugier, manche vielleicht Anspannung und Ungewissheit. Ihr geht jetzt einen neuen Weg, euren Weg.          

 

Manche von Euch kennen meinen Spruch: Der Feind des Guten ist das Bessere. Ihr werdet auf Euren weiteren Lebenswegen noch viel, viel lernen müssen. Interessantes, Schmerzliches, Schönes und – was leider immer stärker wird – Verwertbares. Ökonomisierung der Bildung heißt hier das Reiz- und Stichwort. Bildung wird auf ökonomische Verwertbarkeit hin abgeklopft, auf berufliche Verwertbarkeit, um im Berufsleben zu bestehen und erfolgreich zu sein. Besonders an Haupt-, Real- und Oberschulen soll das so sein. Noch sind die Gymnasien da außen vor.

 

Neben dem Berufsleben gibt aber noch ein anderes Leben, das ganz anderer Bildung bedarf. Bereiche wie Kunst, klassische Musik, Architektur, Literatur, Geschichte und Politik … für all das muss man sich interessieren können, damit man Freude am Anblick eines Gemäldes von Rudolf Englert, an einem guten Roman, einem schönen Gedicht, an einer gotischen Kathedrale haben kann. Für Geschichte und Politik sollte man sich interessieren, Zeitungen und Bücher lesen, um mitreden zu können, um beurteilen zu können, um kritisieren zu können, um mitgestalten zu können, um zum Beispiel rechtes Populismus-Geschwafel und Trump-GeTwitter demaskieren zu können. Ein Kerl muss eine Meinung haben, sagte einmal der große deutsche Schriftsteller Alfred Döblin. Ich füge hinzu: Mädels auch.

Diese Art von Bildung, die ich meine, soll immer mehr aus Schule herausgedrängt werden. Um diese Bildung musst ihr euch selbst kümmern, da am Ball bleiben, neugierig bleiben, offen bleiben. In meinem Leben zum Beispiel spielen die klassische Musik und die moderne Kunst eine ganz wesentliche Rolle, es wäre sehr, sehr schade, wenn Ihr den Zugang zu diesen großartigen Welten nicht findet.

 

Kommen jetzt schwierige und schmerzliche Zeiten auf euch zu? Ich weiß es nicht. Alles wird toll, alles wird gut. Wer könnte das sagen? Wem würdet ihr das uneingeschränkt glauben?

 

Ihr müsst in zwei, drei Jahren aus dem Modus Jugendlicher mit Fidget Spinner und Dauerblick auf das Smartphone in den Modus Erwachsener – wechseln. Ihr werdet immer stärker Verantwortung übernehmen müssen – für Euch, euer Leben, eure Zukunft, für andere Menschen, einen festen Partner und vielleicht irgendwann mal in ferner Zukunft für Kinder.

 

All das ist nicht leicht, ist mit Mühen, manchmal Schmerzen, manchmal mit Rückschlägen verbunden. Aber genau das ist es, was jetzt auf euch zukommt: DAS LEBEN. Macht etwas daraus, macht mehr daraus als Party, als „abhängen“, als „rumchillen“.

Ihr könnt das, dessen bin ich sicher.

 

Vielleicht haben wir als Lehrer bei der Vorbereitung auf diesem Weg ein klitzekleines bisschen helfen können. Falls ihr das auch so seht, würden meine Kollegen und ich uns sehr freuen. Deshalb machen wir ja diesen Job, nicht weil wir binomische Formeln oder die Genetik oder Alkane und Alkene so lieben, sondern Menschen wie Euch, Menschen die sagen: Welt pass auf, ich komme, ich habe etwas zu sagen, ich habe etwas zu geben. Wir verlieren uns jetzt aus den Augen, Eure Eltern bleiben in der Nähe und begleiten euch noch Stück, vielleicht weniger als Mama und Papa, sondern eher als Partner, die schon ein Stück vorausgegangen sind. Eure Wege dürfen auch Umwege beinhalten, Brüche und Umbrüche gehören dazu. Irrtümer gehören dazu.

 

Liebe Abschlussschüler, noch mal meine herzlichsten Glückwünsche zu Eurem Abschluss. Macht es gut, findet einen Weg, findet Euren Weg. Ich werde euch vermissen. Tschüss!“